Mehr Rechtssicherheit in China durch reformiertes Schiedsverfahren

Die Volksrepublik China ist wirtschaftlich (nicht nur für deutsche Unternehmen) von großer Bedeutung, insbesondere aufgrund der Vielzahl an internationalen Akteuren, welche wichtige Wirtschaftsbeziehungen mit Unternehmen in China pflegen. Dies macht ein Mittel zur Streitbeilegung unerlässlich.

 

Da deutsche Gerichtsurteile in der Volksrepublik China nicht vollstreckbar sind, ist bei der Wahl eines sinnvollen Schiedsverfahrens Sorgfalt geboten. Die größte und wohl wichtigste Schiedsinstitution der Volksrepublik China ist die China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC). Die Schiedssprüche der CIETAC werden gemäß dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in ungefähr 165 Ländern anerkannt und durchgesetzt.

 

Die Anzahl der registrierten CIETAC Fälle wuchs allein im Jahr 2022 um 4.000 Fälle. Um den neusten Entwicklungen und Schiedspraxen zu genügen, aktualisiert die CIETAC Ihre Schiedsgerichtsordnung regelmäßig. Zum 01.01.2024 traten erneut einschneidende Änderungen und Erweiterungen der Schiedsordnung in Kraft. Die jüngsten Anpassungen der Schiedsordnung erweitern unter anderem die Kompetenzen des Schiedsgerichts und umfassen Regelungen zu Digitalisierung, Beweismitteln, Drittfinanzierung, Konsolidierung von Schiedsverfahren und Unterstützung bei Ad-hoc-Schiedsgerichtsverfahren.

 

Einen komprimierten Überblick zu den wichtigsten Änderungen finden Sie in diesem Blogbeitrag.

Konstituierung des Schiedsgerichts (Art. 26,27)

Bislang wurde der vorsitzende Schiedsrichter durch die CIETAC auf der Grundlage einer von den Parteien erstellten Vorauswahl von Kandidaten ernannt. Ab sofort kann der vorsitzende Richter durch die von den Parteien genannten Schiedsrichter gewählt werden. Dies bedarf jedoch einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den Parteien. Bleibt diese aus, kommt das bislang verwendete Verfahren zum Einsatz. Zugleich kann die CIETAC sich über die Vereinbarungen der Parteien hinwegsetzen, welche ein „offensichtlich unfaires oder ungerechtes Verfahren“ vorsehen. In einem solchen Fall kann die CIETAC jedes einzelne Mitglied des Schiedsgerichts benennen oder ein Verfahren zur Bildung des Schiedsgerichts festlegen.

 

 

Entscheidung über die Zuständigkeit (Art. 6)

Nach bisherigen Schiedsregeln stand es der Schiedsinstitution CIETAC zu, über die Zuständigkeit der streitbaren Sache zu entscheiden. Die Zuständigkeit wurde daher bisher von der Schiedsinstitution an das konstituierte Gericht übertragen. Durch die Neufassung des Art. 6 liegt es nunmehr in der Entscheidungskompetenz des konstituierten Schiedsgerichts, selbst über seine eigene Zuständigkeit zu befinden. Die Neufassung nähert sich damit der internationalen Schiedspraxis an, indem diese dem Grundsatz „Kompetenzkompetenz“ des Schiedsgerichts folgt.

 

 

Recht zur vorzeitigen Klageabweisung (Art. 50)

Ferner sind Schiedsgerichte ab sofort dazu berechtigt, Klagen oder Widerklagen auf Antrag einer Partei wegen offensichtlicher Unbegründetheit oder Unzuständigkeit ganz oder teilweise vorzeitig abzuweisen. Nach Art. 50.3 sollte ein solcher Antrag so früh wie möglich, in jedem Fall vor Einreichung der Klageerwiderung gestellt werden. Über den Antrag auf vorzeitige Klageabweisung hat das Schiedsgericht jetzt zeitnah innerhalb von 60 Tagen nach Antragstellung zu reagieren. Es kann einen Schiedsspruch erlassen oder eine begründete Entscheidung treffen. Schiedsgerichtsverfahren in China werden damit auch zeiteffizienter.

 

 

Eskalationsklausel (Art. 12.2)

Beabsichtigt eine Schiedsklausel zwischen den Parteien, dass vor Einleitung eines Schiedsverfahrens eine Verhandlung oder ein Mediationsverfahren durchgeführt werden muss, so hindert ein Versäumnis die Parteien nunmehr nicht mehr daran, dennoch unmittelbar ein Schiedsverfahren einzuleiten. Die CIETAC ist zur Annahme solcher Fälle auch befugt. Parteien können daher durch das beliebte Erstrecken von Mediationsverfahren eine Schiedsentscheidung nicht mehr behindern.

 

 

Zwischenschiedsspruch (Art. 49)

Zwischenschiedssprüche sind auf internationaler Ebene bereits gängige Praxis. Mit der Änderung des Art. 49 wird auch die CIETAC-Schiedsordnung dahingehend angepasst. Nunmehr sind Zwischenschiedssprüche für CIETAC-Schiedsgerichte möglich und ermöglichen diesen im frühen Stadium eines Verfahrens Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise kann entschieden werden, welches Recht auf den streitigen Fall anzuwenden ist.

 

 

Einstweilige Maßnahmen vor Einleitung des Schiedsverfahrens (Art. 23)

Die Überarbeitung des Art. 23 ermöglicht es den Parteien, einen Antrag auf einstweilige Maßnahmen zu stellen, ohne dass – wie bislang notwendig – die Anzeige über die Einleitung des Schiedsverfahrens zugestellt ist. Der Antrag auf einstweilige Maßnahmen wird im Anschluss von der CIETAC an das jeweils zuständige Gericht weitergeleitet. Gleiches gilt ab sofort für die Weiterleitung an ausländische Gerichte. Damit wird auch das Thema „Einstweiliger Rechtsschutz“ im CIETAC-Verfahren deutlich professionalisiert.

 

 

Mehrvertragsklausel (Art. 14) und Konsolidierung von Schiedsverfahren (Art. 19)

Eine große praktische Bedeutung dürfte die Änderung des Art. 14 haben. Zweck dieser Anpassung soll eine Kosten- und Zeitersparnis für die Parteien sein, die zeitgleich mehrere Verträge bestreiten. Bislang konnten Schiedsverfahren mit mehreren Verträgen nur dann in einem Verfahren zusammengefasst werden, wenn es um einen Hauptvertrag mit mehreren Nebenverträgen ging, die Verträge dieselben Parteien benachteiligten, die Verträge dieselbe Rechtsnatur aufwiesen oder dieselbe Rechtsbeziehung betroffen war. Der Anwendungsbereich der Mehrvertragsklausel wurde zum neuen Jahr dahingehend erweitert, dass nunmehr auch Fälle einbezogen sind, in welchen mehrere Verträge miteinander in Zusammenhang stehende Sachverhalte betreffen. Zudem ist es jetzt möglich, dass Parteien während eines laufenden Schiedsverfahrens streitige Verträge hinzufügen.

 

 

Anwendbarkeit der CIETAC-Beweisrichtlinien (Art. 41)

Die CIETAC beschloss im Jahre 2015 Beweisrichtlinien, welche bislang nur nach Einigung der Parteien Anwendung fanden. Seit Jahresbeginn können diese Beweisrichtlinien auch ohne Einverständnis der Parteien angewendet werden.

 

 

Vermeidung von Interessenkonflikten (Art.22)

Sollte eine Partei nach Konstituierung des Schiedsgerichts seinen Rechtsbeistand erweitern oder wechseln, so ist es dem Präsidenten des Schiedsgerichts nunmehr zudem gestattet, erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um Interessenskonflikte zu verhindern. Die Maßnahmen haben unter Berücksichtigung des Verlaufs der Verhandlung und der Stellungnahmen der Parteien zu erfolgen. Beispielhaft für eine solche Maßnahme ist der Ausschluss eines neuen Prozessbevollmächtigten von der Teilnahme an dem Schiedsverfahren. Diese Erweiterung der Schiedsgerichtskompetenz soll Interessenskonflikte vermeiden, welche absichtlich geschaffen werden, um die Unparteilichkeit des Gerichts zu gefährden.

 

 

Digitalisierung (Art. 8, 21, 37, 52)

Bereits zu Zeiten der Corona-Pandemie hat die CIETAC Richtlinien zur Digitalisierung des Schiedsverfahrens eingeführt. Mit dem neuen Änderungskatalog wurde darauf aufgebaut und Regelungen zur digitalen Gestaltung des Schiedsverfahrens ausdrücklich geschaffen. Es wird nunmehr die elektronische Einreichung von Schiedsdokumenten zugelassen und die elektronische Zustellung als bevorzugte Form der Zustellung festgelegt. Darüber hinaus liegt es ab sofort im Ermessen des Gerichts, über die persönliche Anhörung zu entscheiden. Auch ein anderes geeignetes Kommunikationsmittel kann die persönliche Anhörung von nun an ersetzen. Dies macht eine Anhörung per Videokonferenz grundsätzlich möglich. Zudem wird festgelegt, dass die elektronische Unterschrift eines Schiedsrichters die gleiche Wirkung entfaltet wie die handschriftliche Unterschrift. Auch findet sich eine deutliche Zukunftsorientiertheit des CIETAC-Verfahrens, welche den Parteien das Handling deutlich erleichtert.

 

 

Finanzierung durch Dritte (Art. 48)

Wird ein Schiedsverfahren durch Dritte finanziert, so obliegt der finanzierten Partei von nun an die Pflicht gegenüber CIETAC Informationen über die Drittfinanzierung offenzulegen. Damit wird die Auseindersetzung für die Parteien transparenter. Auskünfte über die Anschrift und den Namen des Finanzierers, das finanzielle Interesse und die Finanzierungsvereinbarung sind nunmehr CIETAC mitzuteilen. Sowohl das zuständige Schiedsgericht als auch die andere Partei wird durch CIETAC über die Finanzierung in Kenntnis gesetzt. Zudem kann das Bestehen einer Drittfinanzierung und die Einhaltung der Offenlegungspflicht können gemäß Art. 48.2 bei der Kostenentscheidung des Schiedsverfahrens berücksichtigt werden.

 

 

Ad-hoc-Schiedsverfahren (Art. 2.7) als Unterstützung der Privatautonomie

Ad-hoc-Schiedsverfahren sind Schiedsverfahren, welche ohne Unterstützung einer Schiedsinstitution stattfinden. Diese sind bislang nach chinesischem Schiedsgesetz unzulässig. Die CIETAC greift mit der Änderung des Art. 2.7 einer anstehenden Reform dieses Verbots vor, indem diese Anpassung es von nun an ermöglicht, dass auf Ersuchen von Parteien, die CIETAC Verwaltungs- und Unterstützungsdienste für Ad-hoc-Schiedsverfahren anbietet. Beispielhaft für einen solchen Unterstützungsdient ist die Unterstützung bei der Ernennung von Schiedsrichtern oder bei der Durchführung von mündlichen Anhörungen. Dieses Angebot gilt nur, soweit die Ad-hoc-Schiedsvereinbarung wirksam ist und nicht zwingend geltendem oder anwendbarem Recht widerspricht.

 

 

Beschränkte Haftung (Art. 86)

Die CIETAC sichert sich in Art. 86 durch einen weitereichenden Haftungsausschluss. Eine zivilrechtliche Haftung der Schiedsinstitution ist demnach für jegliches Verhalten von Mitarbeitern der Institution, Schiedsrichtern und von CIETAC beauftragten Personen ausgeschlossen. Umfasst wird jedes Verhalten, einschließlich fahrlässigem Verhalten, das im Zusammenhang mit einem Schiedsverfahren nach der Schiedsordnung der CIETAC steht. Außerdem besteht für den genannten Personenkreis keine Pflicht ein Zeugnis abzugeben, es sei denn das im Schiedsverfahren geltende Recht sieht etwas anderes vor.

 

 

Fazit

Die Anpassungen der CIETAC Schiedsordnung treiben die Schiedspraxis in China weiter in markttauglicher Form voran und passen diese – u.a. durch die neue Zuständigkeitskompetenz der Schiedsgerichte – an die internationale Schiedspraxis an. Zudem gestaltet sich der Prozess des Schiedsverfahrens durch fortschrittliche Änderungen im Bereich der Digitalisierung und der Konsolidierung der Schiedsverfahren von nun an parteienfreundlicher. An dieser Stelle sollte jedoch unterstrichen werden, dass die CIETAC sich einen äußerst weitreichenden Haftungsausschluss gesichert hat, welcher dazu führt, dass jegliche zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen CIETAC ausgeschlossen sind.

 

Wird das Schiedsverfahren mit Sitz in China zum vertraglich gewählten Mittel der Streitbeilegung, so wird die CIETAC trotz ihrer neuen Anpassungen weiterhin eine geeignete und oft auch die sinnvollste Institution zur Streitbeilegung von Streitigkeiten nach chinesischem Recht oder im Verhältnis deutsch/chinesischer Unternehmen darstellen.

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